Unser Marsch ist eine gute Sache oder Wie alles anfing

Ostermärsche im Ruhrgebiet – Lieder gegen die Bombe

Es fing auf der Straße an, draußen unter freiem Himmel. Da entstehen eh die wichtigsten Lieder, nicht die besten unbedingt, aber die entscheidenden, gegen den Krieg, für den Frieden. Lieder, die in der Bewegung entstehen, Lieder, die auf der Straße geboren werden. Auch bei den Ostermärschen in der BRD seit 1961. Die Menschen im Ruhrgebiet sind 1962 losmarschiert. Nicht im Gleichschritt. Genau das nicht – nicht mehr! Und sie haben gesungen und sich bewegt dabei. Die ersten zogen von Essen los. Ein Jahr später, 1963, ging der Marsch von Duisburg aus nach Essen, Bochum und weiter nach Dortmund.

“Rotes Liebeslied” – Karikatur von Walter Kurowski.
“Wenn das Wasser ist, bin ich Jesus !”

Grafik Kuro - Veba demo - Rhein betreten verboten -
Kuro : “wenn das Wasser ist – bin ich Jesus” (Sammlung Frank Baier)

Laßt die hohen Herren sich selber schlagen Wir machen einfach nicht mehr mit … Frag’ sie mal selbst, die ersten Ostermarschierer. Die Lieder haben sie noch parat, im Körper, in ihrer Seele und sofort auf den Lippen:

Nie, nie woll’n wir Waffen tragen Nie, nie woll’n wir wieder Krieg …

Es waren die “singenden Ostermärsche an der Ruhr”: 1962 waren es bereits 30 000 Menschen, die Ostern auf den Straßen marschieren. Sie sangen Lieder gegen die Bombe, mit der Gitarre vor dem Bauch. Die Banjos schrappten durchdringend, Mundharmonikas wurden aus der Tasche gezogen, hier und da ein Rhythmus- oder Percussionsteil dazwischen. Es “groovte” sofort los. Es war kein Geheimnis, daß eigentlich Skiffle gespielt wurde. Die Skiffle-Bewegung im Ruhrgebiet boomte bereits seit 1961: Im Steeler Stadtgarten mit der Essener Skiffle-Jamboree, vor allem 1963. Die Szene war stark, zehn bis fünfzehn Gruppen bestritten den Wettbewerb mit Besen-Baß, Trompeten-Mundstück und Banjo. Die Saints-Ramblers aus Essen-Frohnhausen, darunter auch ich, rannten aufgekratzt mit dem “Silbernen Waschbrett” unter dem Arm nach Hause. Die Railway Skifflers waren später noch besser, die Skiffle Pioneers auch nicht schlecht. Gesungen wurde da noch “traditional”, also auf englische Texte.

Bei den Ostermärschen lautete das Rezept jedoch: Skiffle als “musikalische Schubkarre” für politische Lieder, aber mit deutschen Texten. Vorneweg beim Ostermarsch hörte man “Die Conrads” aus Düsseldorf mit politischen “Liedern gegen die Bombe” – deutsch gesungen. Auch insgesamt startete die Entwicklung der “Neuen Lieder in NRW” in Düsseldorf und Oberhausen. Der Texter Gerd Semmer lernte die farbige Sängerin Fasia aus Oberhausen kennen und schrieb für sie den wahrscheinlich ersten Blues in deutscher Sprache – den “Weltuntergangs-Blues”. Dieter Süverkrüp aus Düsseldorf sang seine ersten Chansons – politische Chansons, die Texte von Gerd Semmer vertonten. Und eben diese Conrads-Brüder aus Düsseldorf skiffelten mit Kontrabaß, Gitarren und Mundharmonika im Schulterbügel. Später kam noch Jupp Schmitz mit Banjo dazu. Die 4 Conrads benannt, begleiteten sie bald auch Fasia bei ihren Konzerten.

So fing alles an

Dieter Süverkrüp kam vom Jazz, spielte bei den Düsseldorfer Feetwarmers und errang einen Festivalpreis als Jazzgitarrist. Ab 1956/57 sang er Chansons mit politischen Texten und entpuppte sich bald als vorzüglicher Interpret von Moritaten und Parodien fürs Kabarett. Bekannt wurden die scharfzüngige “Warnung – Rattengift wird ausgelegt” und “Die widerborstigen Gesänge …”

1963 erschienen die ersten “Ostersongs 1962/63” als Schallplatte beim Verlag pläne mit Semmer, Süverkrüp, Fasia und den Conrads. Die ersten Liederhefte “Lieder gegen die Bombe” wurden beim Asso-Verlag in Oberhausen gedruckt. Sie waren auf den Ostermärschen dabei.

Fasia sang:

Unser Marsch ist eine gute Sache
Weil er für eine gute Sache geht
Wir marschieren nicht aus Haß und aus Rache
Wir erobern kein fremdes Gebiet
Unsere Hände sind leer, die Vernunft ist das Gewehr
Und die Leute verstehen unsere Sprache
Marschieren wir gegen den Osten? Nein!
Marschieren wir gegen den Westen?
Nein! Wir marschieren für die Welt
Die von Waffen nichts mehr hält
Denn das ist für uns am besten

Du deutsches Volk, du bist fast immer
Für falsche Ziele marschiert
Am Ende waren nur Trümmer
Weißt du heute, wohin man dich führt?
Nimm dein Schicksal in die Hand
Steck den Kopf nicht in den Sand
Und laßt euch nicht mehr verführen.

(Auszug, Text & Musik: Hannes Stütz, gesungen von Fasia, Oberhausen 1964)

Seit 1964 ist dieses Lied bei den Ostermärschen von den Straßen und Plätzen nicht mehr wegzudenken – auch nicht wegzureden. Es wurde zu dem Lied der Atomwaffengegner. Sich in den sechziger Jahren als Ostermarschierer zu outen, zumal als Lehrer oder Beamter, erforderte persönliche Courage. Die Springerpresse drängte uns als „5. Kolonne Moskaus“ in die Ecke. Die Gespräche am Arbeitsplatz wurden unerquicklich. Wir mussten uns dafür rechtfertigen, gegen den Atomkrieg auf die Straße zu gehen. „Ihr seid einseitig, ihr seid nur gesteuert“, hielt man uns vor. Auf der Straße waren sie alle. Nicht nur die Kriegsdienst-Verweigerer (I.d.K. damals), die Naturfreunde und der Versöhnungsbund; da liefen Christen neben Kommunisten und Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Christdemokraten. Einige Marschierer sangen klar und deutlich: „Weder Bundeswehr noch Ulbrichts Heer!“

Pete Seeger, Volkssänger aus den USA, sang: „Which side are you on?“  Und irgendwann begann man sich zu entscheiden. „Auf welcher Seite stehst du, he?“, sang Walter Moßmann später in Wyhl und Brokdorf. Von wem sollten wir uns sagen lassen, was gut oder schlecht für uns ist? Von denen, die einfach nur funktionierten und kein Gespür mehr hatten für den Menschen, die Bäume, die Gleichgewichte? Die den Krieg und die Atombombe als einziges Lösungsmittel bei Konflikten einsetzen wollten? Die den Weg von Zerstörung und Selbstzerstörung wählten, weil sie sich und ihre Körper, ihre Seele nicht mehr kannten? Wolfgang Borchert saß in unseren Köpfen – „Dann sag’: Nein!“

Fasia sang das Lied:

Feuer, Vorsicht, man legt Feuer
Ein Atomminengürtel wird geplant
Geht auf die Straße und schreit alle: Feuer!
Feuer, unsere Erde wird verbrannt

Pfarrer, laß die Glocken läuten
Denn wir brennen alle sonst zu Staub
Fort mit den großen Generälen
Sie sind für den Schrei der Menschen taub …

Bürger, deine alten Städte
Sind nicht heil, doch haben überlebt
Wer aber wird sie noch erkennen
Wenn am letzten Tag die Erde bebt? …

(Auszug, Text: Fasia/Semmer; Musik: Fasia, gesungen von Fasia)

Fasia on stage -

Auf einem großen „Festival der Lieder aus dem Widerstand“ in Bologna, Italien, sang Fasia 1965 zusammen mit den 4 Conrads vor internationalem Publikum Lieder aus dem Ruhrgebiet. Unter dem Titel „Verbrannte Erde in Deutschland“ wurde das sogenannte „Feuer“-Lied von den Menschen als Hymne begriffen und hier bei uns zu einem der wichtigsten Lieder in der Ostermarsch-Bewegung bis heute. Auf der Burg Waldeck erlebte ich etwas später im Sälchen des alten Säulenhauses bei einem Konzert mit den 4 Conrads die Kraft, die von diesen Blues bzw. Skiffle-Stücken ausgeht, gesungen mit deutschen Texten:

Freunde, der Ofen ist noch nicht aus
Auch wenn die das in Bonn ganz gern so hätten
Wir können, wenn wir uns zusammentun
Die Demokratie noch retten

Ist da jemand unter uns, der glaubt, daß die Gesetze
Die sie jetzt rauslassen, ihn beschützen?
Dem sag ich: mach deine müden Augen auf, dann siehst du
Daß sie einzig der Regierung nützen.
Aber: Freunde, der Ofen ist noch nicht aus …

Die ham ihr Schäfchen längst im Trockenen,
aber unsere Rechte wollen sie samt und sonders streichen
Hat uns die Geschichte nicht gelehrt, die oben sitzen
Geh’n auch, wenn es sein muß, über Leichen? Aber: …

(Auszug, Text & Musik: W. Brannasky, gesungen von den 4 Conrads)

Die Lieder der sechziger Jahre, transportiert mit Blues und Skiffle, gesungen in der Bewegung auf den Straßen und Plätzen im Ruhrgebiet, wurden eine Art von „Volksliedern“. So hat es jedenfalls angefangen zwischen Düsseldorf, Oberhausen und Dortmund.

Inhalt

  1. Leben Kämpfen Solidarisieren
  2. Unser Marsch ist eine gute Sache
    Von den Ostermärschen Mitte der 60er Jahre
  3. Die Waldeckfestivals 1964-69
    Wurzeln und Kinderstuben der Lieder in NRW
  4. Aufbruchstimmung 70er Jahre
  5. Musikszene im Pott - Lieder der 80er Jahre
  6. Kommt ausse Pötte - die 90er Jahre
  7. Nachgesang

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