Mit der Zeitmaschine durch mehr als
100 Jahre Arbeiterlied im Ruhrgebiet

2. Auf der Schwarzen Liste (1889-1911)

Eine Reise in acht Stationen: von Heinrich Kämpchen und den Streiks im Deutschen Kaiserreich über Grubenunglücke und Freikorpssoldaten in den 1920er Jahren und dem Faschismus, dem Wiederaufbau nach 1945, dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und gute und bezahlbare Wohnungen bis zu den Liedern der Arbeitsmigranten

  • Auf der Schwarzen Liste 1889
  • Kohlengräberland
  • Der Lohntag 1911

Am Anfang ist in den Liedern noch viel geklagt und gejammert worden – doch bereits um die Jahrhundertwende wurden die Arbeiter immer klarer und eher fordernder. Da war Kampf angesagt. In dem Lied Weckruf (1904) schreibt der Bergarbeiterdichter Heinrich Kämpchen (1847-1912): „Mann der Berge, aufgewacht – ob in Stollen oder Schacht – eingehüllt von Pulverdampf – rüste dich zum Freiheitskampf]“ Und er schlägt seinen Kumpels unter Tage vor, mit dem Klagen aufzuhören: „ … mach dich nicht zum Kinderspott – hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“

Zechen-Kolonie 1898- 1989 - Rheinpreußen
Zechen-Kolonie 1898- 1989 – Rheinpreußen

Wir steigen noch mal in die Zeitmaschine, und fahren bis 1889 vor. Wir wollen die lange Geschichte der drei großen Streiks im Ruhrgebiet (1889 – 1905 – 1912) miterleben. Was war geschehen? Was bringt einen Bergarbeiter dazu, einen Text zu schreiben wie:

Auf der Schwarzen Liste

Wohl lacht und lockt der junge Mai – es blüht und duftet um die Wette.
Ich taumle irren Sinns vorbei – geschleift an meiner Armut Kette.
Von allen Seiten grinst die Not – bedrückt mich und bedrängt mein Leben.
Umsonst hör ich den Ruf nach Brot – ich kann den meinen keins geben.

Refrain:
Dem, der auf der Liste steht – hilft kein Bitten kein Gebet.
Mögen Weib und Kind verhungern – er muß durch die Lande lungern.
Ohne Arbeit, ohne Geld – weil es so den Herrn gefällt.

Im Mai 1889 brach der erste große Streik im Ruhrgebiet los, sternförmig von der Essener Zeche Ernestine. 93.000 Bergleute des Ruhrbergbaus waren im Ausstand. Heinrich Kämpchen wurde von den Kumpels als Streikführer gewählt und als solcher erkannt und prompt gemaßregelt und von den Zechenherren auf die ,Schwarzen Listen‘ gesetzt. Er wurde somit schlagartig um seine beruflich Existenz gebracht.

Die letzte Krume ist verzehrt- der letzte Pfennig längst verschollen.
Und kalt und öde Heim und Herd – und Weib und Kind, die leben wollen.
Umsonst bin ich von Schacht zu Schacht- umhergeirrt in den Revieren,
ich habe keinen Trost gebracht – ich habe nichts mehr zu verlieren.

Refrain: Dem der auf der Liste steht …

Text: Heinrich Kämpchen 1889
Musik: Frank Baier 1977

Heinrich  Kämpchen  - 1912  - portrait
Heinrich Kämpchen – 1912

Wenn man den Bord-Computer in der Zeitmaschine auf dieses Lied anklickt, wirft der Datenträger sofort mehrere Textversionen aus, die ersten bereits 1891 in der Bergarbeiterzeitung veröffentlicht. Ebenfalls gibt es dazu zwei verschiedene Liedversionen ca. aus den Jahren 1977/78. Fast zeitgleich, aber unabhängig voneinander, haben zwei Ruhrgebiets-Liedermacher Werner Worschech und Frank Baier „Auf der Schwarzen Liste“ vertont und gesungen – auch jeweils mit anderen Strophen. Es gab bis dato keine Kenntnis über eine Melodie dazu. Für beide Sänger war aber wichtig, diesen Text auch singen zu können. Frank Baier textet ein Zusatz-Strophe, in der er die Berufsverbote der Lehrer mit den Maßregelungen der Bergleute vergleicht – wenig später steht er selbst auf dem Index des WDR.

Zusatz-Strophe (1978):

Es droht und schimpft Demokratei – es kocht und brodelt um die Ecke
Was nützt uns Freiheit, die nicht frei – wo man nichts mehr zu sagen hätte.
Das Denken steht schon unter Straf‘ – was nicht genehm den Herren
Nur der in Schulen lehren darf – will er sich nie für nichts beschweren.

Refrain:
Dem der auf der Liste steht …

Musik und Zusatzstrophe: Frank Baier

„Die Not der Bergleute ist nur durch Kampf zu überwinden!“ sagte Heinrich Kämpchen 1892,
als es um die Gründung des Alten Verbands, der ersten Bergarbeiter-Gewerkschaft, ging.

Bevor wir abreisen, sollten wir noch einen Blick auf das Ruhrland im 19. Jahrhundert werfen: Eine gewachsene Heidelandschaft wird zunehmend von der Industrie zerstört. Die Menschen werden in völlig neue Lebens- und Arbeitsbedingungen gezwungen. Heinrich Kämpchen, ein sehr naturverbundener Mensch, will sich damit nicht abfinden. Er schreibt den Text:

Kohlengräberland

Schwarz von Kohlendampf die Luft – überall Gepoch und Hämmern.
Jeder Grube eine Gruft – um das Leben zu verdämmern.
Zwischendurch der Hütten Dunst – und die Glut von tausend Essen,
eine Riesenfeuersbrunst – nicht zu malen, nicht zu messen.

Graue Halden, dürr und kahl – Schlote, die zum Himmel ragen.
Menschenleiber, welk und fahl – die sich hasten, die sich plagen.
Sprecht vom Kohlengräberstand – oft mit klügelnder Gebärde.
Das ist Kohlengräberland! Das ist meine Heimaterde!

Text:   Heinrich Kämpchen
Musik: Wemer Worschech (1977)

Kohlengräberland

Kohlengräberland

Kohlengräberland – Zeitmaschine: Lieder aus dem Ruhrgebiet 1889 – 1920 – 1967 – 2003

  1.  Intro: Die Zeitmaschine startet
  2. Im Ruhrkohlengebiet (1904)
  3. Auf der Schwarzen Liste (1889 - 1911)
  4. Der Kaiser hat in Sack gehaun (1919)
  5. Der Ruhrkumpel spricht
  6. Mein Vater war Bergmann
  7. Bruckhausen-Walzer (1978-79)
  8. Söhne der Gastarbeita
  9. Finale: März Rap 1920