Mit der Zeitmaschine durch mehr als
100 Jahre Arbeiterlied im Ruhrgebiet

5. Mein Mann war Bergmann

Eine Reise in acht Stationen: von Heinrich Kämpchen und den Streiks im Deutschen Kaiserreich über Grubenunglücke und Freikorpssoldaten in den 1920er Jahren und dem Faschismus, dem Wiederaufbau nach 1945, dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und gute und bezahlbare Wohnungen bis zu den Liedern der Arbeitsmigranten

  • Mein Mann war Bergmann 1976
  • Opa Weber 1974
  • Lied der Bergarbeiter 1967
  • Rheinpreußen ruft Alarm 1979

1967 Zechensterben im Ruhrgebiet

Unsere Zeitmaschine steht in einer Zechenkolonie in Oberhausen-Sterkrade. Wir können durch das Fenster in die Wohnküche sehen: Mehrere Frauen sitzen um den Tisch herum, die sehr ernst und angeregt reden, eine Frau weint. Das kleine Tonbandgerät und ein Mikrofon mitten auf dem Tisch wird von den Frauen kaum beachtet, nur eine etwas jüngere, dunkelhäutige Frau schaut ab und zu auf den Tonpegel und schreibt ihre Notizen mit und fragt zwischendurch die Frauen.

Fasia ist eine Liedersängerin aus dem Ruhrgebiet, aus Oberhausen. Sie besucht die Frauen von Bergarbeitern, die gerade ihren Arbeitsplatz verloren haben. Sie hatte zum ersten mal gehört, dass ein Bergmann Selbstmord begangen hat, weil er aus dem Pütt geschmissen wurde und nicht mehr einfahren konnte.

So entsteht ihr neues Lied “Mein Mann darf jetzt in den Schacht nicht mehr rein.”

Einige Sätze und Äußerungen aus den vielen Gesprächen hat Fasia fast wörtlich so in ihrem Lied übernommen, ” […] weil ich es klarer und besser nicht hätte schreiben können.” sagt Fasia, bevor sie uns die ersten Fragmente des Liedes vorsingt: „Die Frauen sind doch die wirklich Betroffenen. Sie haben die Kinder, sie müssen wirtschaften und mit dem Geld auskommen. Wer soll denn den Text, das Lied machen? Die Frauen haben ganz andere Sorgen.“

Mein Mann darf jetzt in den Schacht nicht mehr rein

Mein Mann darf jetzt in den Schacht nicht mehr rein
Wir können es noch nicht fassen:
Er hat dort malocht, seine Lunge wird Stein.
Fast zwanzig Jahre fuhr er dort ein,
jetzt liegt er auf der Straße.

In der Zechensiedlung wohnen wir noch,
wir zahlten die Miete bis heute.
Mein Mann bringt jetzt weniger Geld mit nach Haus,
Und wenn wir nicht zahlen, dann fliegen wir raus.
Was sind das bloß für Leute.

Jetzt bemerken wir es auch – der Text ist fast wie ein Protokoll des Gesprächs mit den Bergarbeiterfrauen. Eine der Frauen klagte, sie könne ihrem Mann nur noch Eintopf vorsetzen „[…] und der brauch’ doch wat zwischen de Rippen untertage!“ und eine andere meinte: „Und die Schönrederei im Fernsehen abends, das klingt manchmal wie Hohn.“

Nur ein Topf steht noch auf unserem Herd.
Was essen die Herren dort oben?
Am Abend der Kanzler im Femseh‘n erklärt
Wie das Wirtschaftswunder zu Tal mit uns fährt.
Der Zechenherr zählt die Millionen.

Heut schlagen sie uns und morgen auch die,
Die sich für Sozialpartner halten.
Traut nicht den Männem der Großindustrie,
Denn wir sind wir – und die sind die!
Daran müssen wir uns halten

Text und Musik: Fasia Jansen

Doch die Ratlosigkeit schlägt plötzlich um. Durch das Abladen ihres Kummers in der Runde können sie wieder nach vorne sehen und werden sogar forsch. „Die sollen sich mal warm anziehen bei den nächsten Wahlen. Von den Sprüchen, die die da kloppen, haben wir jetzt genug.“

1974: Auf einer Wiese zwischen den Hochhäusern in Duisburg-Hochheide sehen wir eine Schar Kinder um einen Mann mit einer Gitarre sitzen und sie reden über den ,traurigen‘ Opa, der da oben im 20. Stockwerk wohnt.

Opa W. hatte ihnen einem ,Zettel‘ mitgegeben und sie haben Lebensmittel für ihn eingekauft, weil der Aufzug kaputt ist und er die Treppen nicht mehr steigen kann. Jetzt ist auch noch seine Frau krank geworden und in ein Pflegeheim gekommen. „Als wir noch in der Siedlung gewohnt haben, da war er viel lustiger. Und wir Kinder konnten auch mit ihm viel besser spielen. Manchmal weint er. Ja, das haben wir gesehen. Warum haben die nur unsere alten, schönen Häuser abgerissen? Für uns Kinder und die alten Leute ist das am schlimmsten, oder?“ Und schon standen auf dem Blatt die ersten Zeilen für den Refrain:

Refrain:

Opa Weber meinte: das ist hart, Mann, muß das denn so sein?
Bist du alt, stehst du allein. Bist du schwach – bist du klein.
Man drückt dich einfach an die Wand.

Und dann haben sie einfach nur die Geschichte von Opa Weber weitererzählt und der Liedermacher hat es aufgeschrieben und daraus die Verse gemacht

Opa Weber

Er hat in diesem Haus gewohnt- und mußte einfach gehen.
Was hat der alte Mann geflucht – ich habe nach dem Grund gesucht,
warum er sauer war …

Refrain:

Opa Weber meinte: das ist hart, Mann, muß das denn so sein?
Bist du alt, stehst du allein. Bist du schwach, bist du klein.
Man drückt dich einfach an die Wand.

Was der Bagger mit alten Häusern macht – das nennt die Stadt: Sanieren.
Man reißt hier Haus und Garten ab – und baut ne neue Hochhaus-Stadt,
weil das mehr Miete bringt …

Opa Weber meinte: das ist hart, Mann, muß das denn so sein? …

Oh, was hat da meine Frau geweint- wir wollten lieber sterben.
Sie sitzt jetzt im Altersheim – und ich im Zimmer ganz allein
denn die Rente war zu knapp …

Opa Weber meinte: das ist hart, Mann, muß das denn so sein? …

Einen alten Baum verpflanzt man nicht, der geht sonst langsam ein.
Wie öde ist die Hochhausstadt, weil man hier keinen Freund mehr hat,
keine Tauben, keinen Garten. …

Refrain:

Opa Weber meinte: das ist hart, Mann, muß das denn so sein?
Bist du alt, stehst du allein. Bist du schwach, bist du klein.
Man drückt dich einfach an die Wand.

Das muß nicht sein.

Text und Musik: Frank Baier

Die Zeche zahlen wir

1979. Die Zeitmaschine steht wieder in einer Zechenkolonie in Gelsenkirchen.

Auch hier macht gerade ein Pütt dicht und gleichzeitig droht der Verkauf der Zechenhäusern an eine Bank. Die Leute treffen sich in einem besetzten Haus in der. Küche, um zu beraten. Die Türe geht stürmisch auf und ein junger Mann mit einem Gitarrenkoffer in der Hand steht im Raum und grüßt die Runde. Werner Worschech, ein Liedermacher des Ruhrgebiets, wusste von dem Gespräch der Frauen und Männer in der Kolonie und ist dazugestoßen.

Das war mittlerweile ein Brauch der Sänger im Ruhrgebiet da wo es brannte auch oft im Rudel aufzutauchen und den Betroffenen durch ihre Lieder Mut zu machen. Werner hatte gerade ein Lied vertont und fertig. Eine engagierte Autorin hatte diesen Text geschrieben: Lied der Bergarbeiter 1967.

Das Thema lag in der Luft, lag fast auf der Straße, egal ob in Bottrop, Gelsenkirchen oder Oberhausen. Man brauchte es nur einzufangen – also richtig hinhören und umsetzen in ein Lied. Werner klappt den Gitarrenkoffer auf, setzt sich auf die Küchenbank zwischen die Frauen und stimmt kurz sein Instrument durch. „Hört mal, die Elisabeth Wigger hat das ziemlich gut auf den Punkt gekriegt Ich sing Euch dat mal vor:“

Wir haben eurem Wort vertraut: „Bergbau tut not!“
Wir haben Kohle abgebaut – Kohle schafft Brot.
Das soll auf einmal gar nichts sein, bei uns ist zwei und zwei noch immer vier.
Wenn ihr euch auch verrechnet habt – die Zeche zahlen wir.

„Fasia, dat können wir doch am nächsten Freitag auch auf der Kundgebung von der IG Bergbau singen, oder? Den‘ machen wir Feuer unterm Arsch! O.k., ich sing erst mal weiter.“

Ihr habt in Gruben investiert – viel Kapital.
Gewinne habt ihr einkassiert – gar nicht so schmal.
Doch viel bedeutet nicht genug, bei uns ist zwei und zwei noch immer vier.
Wenn ihr euch auch verrechnet habt – die Zeche zahlen wir.

Der Bergbau ist nicht interessant – ihr seid ja hell.
Im Öl habt ihr schon euere Hand – ihr schaltet schnell.
Vom Öl erhofft ihr euer Heil, bei uns ist zwei und zwei noch immer vier.
Wenn ihr euch auch verrechnet habt – die Zeche zahlen wir.

Vielleicht po munt
Dann bleibt uns keine andere Wahl – Kohle schafft Brot.
Die Zeche wir dann riesengroß, bei uns ist zwei und zwei noch immer vier.
Wenn ihr euch auch verrechnet habt- die Zeche zahlen wir.

Text: Elisabeth Wigger
Musik: Werner Worschech

Noch unter dem Eindruck des Liedes platzt er sofort los: „Das hat die vor 10, 12 Jahren gesagt – also geschrieben. Und jetzt ist es genau so gekommen! Dat muss man sich mal vorstellen!“ meint Werner ganz aufgeregt.

1979

Jetzt steht die Zeitmaschine auf dem Platz vor alten historischen Gebäuden mitten in Duisburg. Rechts von uns sehen wir die Türme der alten Salvatorkirche im Dunkeln. Es ist kalt. Vor dem Rathaus stehen ganz vielen Menschen, z.T. mit Teetassen in der Hand. Wir gehen etwas näher heran zwischen die Leute. Was ist das? Ein Volksfest? Gerade hat ein Sänger mit einer Baskenmütze direkt vor der alten Rathaustüre ein Lied gesungen, das alle kannten. Links von ihm eine Gruppe von Musikern mit Gitarren und Saxophon. Und auf der rechten Seite sehen wir jetzt auch ca. fünf, sechs Frauen mit ihren Mützen, dick eingepackt in Decken und Schlafsäcken auf ihren Campingliegen. Daneben steht ein feiner Herr mit einem Kontrabass und eine Frau mit Wuschelhaaren und dicker Jacke und einem Akkordeon. Ah, da ist sie wieder. Fasia besucht ,ihre‘ Frauen aus der Rheinpreußensiedlung.

„Was hat der da gerade gesungen?“ „Das ist ein Liedermacher aus der Schweiz, Ernst Born soll der heißen. Der hat gerade ‘Und weil der Mensch ein Mensch ist‘ gesungen, mit einem neuen Text für die Hungerstreikenden …“

12. Februar 1979

Hungerstreik der Bewohner der Rheinpreußen-Siedlung auf den Duisburger Rathaustreppen – nun schon seit zwölf Tagen und Nächten. Einige Männer sitzen auf Stühlen neben den Frauen auf den Liegen. Eine Ärztin misst gerade den Blutdruck bei einem älteren Mann. Überall stehen große Thermoskannen rum. Und ein riesiger Haufen Koks liegt direkt vor die breite Rathaustreppe gekippt. Die Stahlstreiker von Thyssen haben aus Solidarität mit den Hungerstreikern eine Kokstonne mitgebracht und auch sofort angeheizt, damit die Hungerstreiker sich richtig schön die Hände und den Rücken daran wärmen können. Plötzlich schiebt sich ein resoluter Mann mit Brille und Baskenmütze durch das Publikum nach vorne auf die Treppe und redet kurz mit einem bärbeißigem, vollbärtigem Typen in schwarzer Lederjacke.

„Jau, Richard, mach dat“ Richard Limpert, ein Arbeiterdichter, hält seinen Zettel hoch und ruft sehr bestimmend nach unten: „So, Leute, jetzt seit mal still! Also ich hab da, h.Ll!Z bevor ich von Gelsenkirchen hier rübber kam zu den Rheinpreußenleuten, so’n Text geschrieben. Dat is also mein ,Solidaritätslied‘ für Frank Baier, Richard Limpert,

Fasia Jansen: Hungerstreik 1979.

die Hungerstreiker. Und ich hab dat so geschrieben, dat der Frank hier, oder die Fasia sich ma auffe Socken machen, und da en toftes Lied draus wird. Ich les‘ euch dat jetzt mal vor. Ich bin erkältet, also seit jetzt ruhig da hinten …“ Und er liest:

Ich hab ne tofte Wohnung – nichts lockt mich mehr hinaus.
der Schnupfen zwingt zur Schonung – drum bleibe ich zu Haus‘.
II: Die Ruhe ist mir teuer – der Bildschirm flimmert bald,
im Ofen brennt das Feuer- und draußen ist es kalt. :Il

Ich lieg‘ auf meiner Liege- Rheinpreußen ruft Alarm.
Das Fell von einer Ziege – hält mir die Nieren warm.
II: Ein Flugblatt läßt mich wissen – der Siedlung droht Gefahr.
Der Mieter wird beschissen -wie es schon öfter war. :II

Die Menschen, die dort wohnen – die setzen sich zur Wehr.
Noch mehr Profit für Drohnen – die scheffeln immer mehr.
II: Die Hungerstreiket frieren – für Wohnrecht und Erhalt.
Auch Frauen demonstrieren – am Rathaus ist es kalt. :II

Fasia steht neben Frank und summt. Fasia summt immer. Plötzlich neigt sie sich rüber und raunt:

„Ey, ho.. rsse;.>“ „No“ , wat mal.ll.Ze.;l“ „Ja,.h“orsse ru.ch:.> Et’·n Bo.m ben r.st g .ar;;;IeInI

Vom Hannes dat Lied.“ … und Richard liest

Ich muß zur Rathauspforte – noch ist es nicht zu spät.
Was nutzen große Worte– von Solidarität,
mit einem warmen Hintern – bei fünfundzwanzig Grad
am Ofen überwintern – ist Arbeiterverrat

Jetzt hör‘ ich was Fasia meint. Das Lied haben wir doch immer beim Ostermarsch gesungen, das ist doch Fasias Lied mit dem Text von Hannes Stütz, wenn sie vorne weg marschiert mit ihrer Gitarre.

Gemeinsam woll’n wir zeigen- wir stehen Frau und Mann.
Hier darf kein Bürger schweigen – das geht uns alle an.
Die Herren Geschäftemacher- die kennen nur den Profit.
Den Haus- und Menschenschacher – den machen wir nicht mit.

Text Richard Limpert

Melodie frei nach: „Ein Bomben ist gefallen“ von Hannes Stütz

„Los, Frank, hol mal deine Ukulele, dat wird jetzt sofort gesungen! Richard, du Schlingel, hasse den Text auf den Hannes sein Lied getextet? Also Leute, hört mal, wir können das Lied hier sofort singen – und zwar alle. Ihr kennt das auch. Ein Bomben ist gefallen ist doch unser Ostermarschlied, und der Text von Richard passt da genau drauf. Also, Richard, halt jetzt mal dein Blatt, wir wollen wat sehen!“

Hungerstreik 1979 vor dem Rathaus Duisburg.

Ein Lied ist geboren: Rheinpreußen ruft Alam;- aus dem Stand. Fasia singt es mit ihrer Gitarre, Walter Kurowski spielt den Bass, Frank’s Ukulele wimmert, die Gitarren-Freaks oben setzen ein und die Leute unten singen die Wiederholung – als Refrain. Strophe für Strophe tasten sich die Sänger und Sängerin durch und singen es abwechselnd.1979

Die Kokstonne glüht, ein neuer Kessel Tee ist fertig und wird ausgeschenkt- Frank’s Geburtstag auf den Rathaustreppen 1979.

… und die Geschichte von Rheinpreußen ruft Alarm scheint noch nicht ganz zu Ende zu sein. Unter ,Textvarianten‘ zeigt uns der Bordcomputer zu dem Lied plötzlich völlig verwirrende Landekoordinaten der Zeitmaschine mit Längen- und Breitengraden an, die nicht hier in der Region Ruhrgebiet sein können. Wir klicken ,suchen‘ an und machen einen Zeitsprung von ca. vier Jahren und einen riesigen Ortsprung bis auf die andere Seite von Afrika – ,Südlicher Wendekreis‘ auf eine große Insel im Indischen Ozean: Madagaskar.

Kohlengräberland

Kohlengräberland

Kohlengräberland – Zeitmaschine: Lieder aus dem Ruhrgebiet 1889 – 1920 – 1967 – 2003

  1.  Intro: Die Zeitmaschine startet
  2. Im Ruhrkohlengebiet (1904)
  3. Auf der Schwarzen Liste (1889 - 1911)
  4. Der Kaiser hat in Sack gehaun (1919)
  5. Der Ruhrkumpel spricht
  6. Mein Vater war Bergmann
  7. Bruckhausen-Walzer (1978-79)
  8. Söhne der Gastarbeita
  9. Finale: März Rap 1920